B2B SaaS vs. klassisches Vertriebsverständnis ein Einblick:
Die meisten SaaS-Unternehmen starten mit einem klassischen Vertriebsansatz – oft, weil es das ist, was man kennt. Leads oben rein, Umsatz unten raus. Pipeline, Deals, Abschluss. Danach geht der Blick sofort zurück nach oben: Wo ist der nächste Kunde?
Dieses Modell hat im klassischen Lizenzgeschäft gut funktioniert. Damals, als Software einmal verkauft und dann installiert wurde. Damals, als man den Kunden nach dem Kauf kaum noch gesehen hat, außer vielleicht für ein Update oder einen Renewal-Termin.
Dieser Denkansatz ist gefährlich. Denn das Geschäftsmodell hat sich grundlegend verändert und mit ihm auch die Dynamik zwischen Kunde und Anbieter. Einnahmen entstehen nicht mehr auf einen Schlag, sondern verteilen sich über Monate oder Jahre. Der Großteil des Umsatzes liegt nicht im Abschluss, sondern in der Zeit, nachdem der Kunde unterschrieben hat.
Wer heute noch so verkauft wie früher, riskiert genau das, was viele Unternehmen erleben: Kunden, die schnell begeistert sind und genauso schnell abspringen. Deals, die am Anfang groß wirken, aber nie ihr volles Potenzial entfalten. Und Forecasts, die sich Monat für Monat in Luft auflösen, weil die Realität nach Vertragsabschluss eine ganz andere ist.
Der Abschluss ist nur der erste Schritt
Ich bin ein riesiger Fan der „Revenue Architecture“ von Winning by Design ( Quelle:
https://winningbydesign.com/resources/blueprints/customer-success-operating-model/,
besucht am 7. Januar 2025), weil sie dieses Problem genau auf den Punkt bringt. Das Modell des Bowtie – also der Schleife, die den klassischen Sales-Funnel in beide Richtungen erweitert – ist für mich eine der sinnvollsten Weiterentwicklungen im SaaS-Vertrieb überhaupt.
Auf der linken Seite sehen wir den klassischen Sales-Prozess: von Lead-Generierung über Qualifizierung bis zum Abschluss. Das ist der Teil, den viele Unternehmen sehr gut beherrschen.
Aber die wahre Magie – und das echte Wachstum – passiert auf der rechten Seite des Bowtie: dort, wo Customer Success beginnt. Wo Onboarding, Activation, Adoption, Expansion und letztlich Advocacy stattfinden. Dort entsteht der langfristige Umsatz. Die Wiederkäufe. Die Upgrades. Die Empfehlungen. Das echte Kundenwachstum.
Und das ist keine philosophische Sichtweise, das ist simple Mathematik.
Wenn du 100.000 Euro jährlich mit einem Neukunden machst, aber durch konsequente Arbeit in Customer Success daraus in drei Jahren 300.000 Euro machen kannst, warum solltest du dich nur auf die linke Seite konzentrieren? Warum investieren so viele Unternehmen 90 % ihres Vertriebsbudgets in den Funnel und fast nichts in den Bereich, wo das Geld eigentlich liegt?
Falsche Anreizsysteme führen nicht zum Erfolg
Die Antwort liegt in alten Denkmustern. In überholten Kommissionsmodellen. In Abteilungsdenken und in der falschen Vorstellung, dass „Vertrieb“ mit der Unterschrift endet.
Wenn du es schaffst, deine Organisation so aufzustellen, dass sie nicht nur verkauft, sondern Kundenerfolg systematisch erzeugt, dann baust du ein Geschäftsmodell, das trägt. Nicht nur für ein Quartal, sondern über Jahre hinweg.
Der Bowtie ist mehr als nur ein Modell, er ist ein Spiegel für dein gesamtes Geschäftsverständnis.
In klassischen Vertriebsstrukturen endet die Verantwortung oft mit dem unterschriebenen Vertrag. Der Kunde wird übergeben, das „Kernziel“ wurde erreicht. Doch genau an dieser Stelle beginnt im SaaS-Modell eigentlich erst die Arbeit. Wenn du das ignorierst, schneidest du dir selbst den größten Teil deines Umsatzpotenzials ab. (Quelle: https://www.marketingprofs.com/articles/2023/49013/bow-tie-recurring-revenue-model, besucht am 5. Mai 2025)
Das Bowtie-Modell von Winning by Design macht diesen Bruch sichtbar und bietet gleichzeitig einen klaren Weg, wie du ihn überwindest.
Kunden, die wirklich verstanden wurden, die sauber ins Produkt eingeführt wurden, die ihren Erfolg messbar erreichen, entwickeln sich nicht nur zu verlässlichen Umsatzträgern. Sie wachsen mit dir. Sie kaufen nach. Sie empfehlen dich weiter. Sie sind bereit, für echten Mehrwert auch echten Mehrpreis zu zahlen.
Das Bowtie-Modell zwingt dich, dein Unternehmen symmetrisch zu denken. Vertrieb und Success als zwei Seiten derselben Schleife verbunden durch ein zentrales Element: das Customer Onboarding. Dort liegt der Übergang. Dort entscheidet sich, ob der Kunde auf der rechten Seite des Modells wirklich Potenzial entfalten kann oder ob der Churn schon still beginnt.
Vertrieb ist Teamsport – und jeder im Unternehmen verkauft
Viele SaaS-Organisationen haben das heute noch nicht verstanden. Der Vertrieb arbeitet isoliert. Der Erfolg wird nach dem Vertragswert gemessen. Doch dieser Vertragswert ist bestenfalls ein Versprechen. Der tatsächliche Wert zeigt sich erst über die Zeit und nur, wenn alle internen Bereiche zusammenarbeiten.
Die Folge: Customer Success wird zu einer Art Auffangbecken. Zuständig für alles, was nach dem Abschluss passiert, aber ohne echte Durchschlagskraft. Ohne Budget. Ohne strategische Einbindung.
Genau hier setzt eine gut implementierte Revenue Architecture an. Sie definiert nicht nur Prozesse, sondern eine Haltung: Wachstum ist nicht das Ergebnis einzelner Abschlüsse, sondern das Resultat aus kontinuierlichem Kundenerfolg. Wenn Customer Success nicht als Reaktion, sondern als Struktur angelegt ist, ändert sich alles – vom Forecasting bis zur Teamkultur.
Es geht also nicht darum, den alten Vertrieb „abzuschaffen“. Sondern ihn weiterzudenken. Ihn zu ergänzen um das, was wirklich zählt: den Erfolg des Kunden in seinem echten Alltag.
Der Bowtie macht das sichtbar und gibt dir gleichzeitig die Möglichkeit, jede Phase deiner Customer Journey messbar und gestaltbar zu machen. Ob du den Net Revenue Retention steigerst, Upselling systematisierst oder Kundenzufriedenheit operationalisierst – all das beginnt mit der Entscheidung, Customer Success nicht länger als nachgelagerten Service zu betrachten, sondern als integralen Bestandteil deiner Wachstumsstrategie.
Von Jägern und Farmern
Ein beliebtes Bild im Vertrieb ist das vom Jäger und vom Farmer. Der Jäger geht raus, spürt neue Beute auf, jagt, trifft, bringt sie heim. Abschluss. Sieg. Weiterziehen. Der Farmer dagegen kümmert sich um das, was bereits da ist. Er baut auf, pflegt, entwickelt weiter. Er ist geduldig, langfristig orientiert, mit Blick auf den Ertrag über Zeit.
Dieses Bild funktioniert als Metapher und es holt viele ab, die aus dem klassischen Vertriebsdenken kommen. Doch in der SaaS-Welt ist es längst zu kurz gegriffen.
Denn der moderne Farmer sitzt nicht gemütlich auf seiner Veranda und wartet darauf, dass die Ernte von selbst wächst. Er ist ständig unterwegs. Er prüft Bodenqualität, wechselt Fruchtfolgen, erweitert seine Fläche. Kurz gesagt: Der moderne Farmer ist selbst auf der Jagd nach neuem Land, neuen Chancen, neuem Wert. Nur eben nicht auf der grünen Wiese, sondern im bestehenden Kundenbestand.
Genau das ist der fundamentale Unterschied: In der alten Welt war der Abschluss das Ziel. Heute ist er erst der Anfang. Der Kunde ist nicht erlegt, er ist eingeladen in eine Partnerschaft, in der beide Seiten wachsen können.
Diese Denkweise muss sich in der gesamten Organisation spiegeln. Das beginnt mit der Frage: Wer trägt bei dir Verantwortung für den Erfolg nach dem Abschluss? Ist das jemand mit klarer Rolle, Mandat und Zielsystem? Oder jemand, der „nebenbei“ ein paar Check-ins macht, wenn es ruhig wird?
In vielen Unternehmen herrscht noch immer das Bild vor: Der Vertrieb jagt, der Customer Success bewässert. Doch damit verschenkst du das enorme Potenzial, das in deinen Bestandskunden liegt. Upselling, Cross-Selling, Expansion – das passiert nicht durch Glück, sondern durch gezielte Pflege. Durch echten Dialog. Und durch Strukturen, die das ermöglichen.
Ein gut aufgestellter „Farmer“ im modernen Sinn – also ein Customer Success Manager mit klarer Strategie, KPIs und Tools – ist heute einer der wertvollsten Rollen im Unternehmen. Er erkennt Signale früh. Er verhindert Eskalationen, bevor sie entstehen. Und er schafft Raum für Wachstum – nicht durch Druck, sondern durch Wert.
Und ja: Auch das ist Vertrieb. Nur eben in einer anderen Form. Eine Form, die langfristig nachhaltiger ist, weil sie nicht auf einmalige Abschlüsse setzt, sondern auf kontinuierliche Entwicklung. Kunden, die wachsen, wachsen mit dir. Kunden, die Erfolge erzielen, kaufen mehr. Sie fühlen sich verstanden und empfehlen dich weiter.
FAZIT
Deshalb brauchst du beides: kluge Jäger, die neue Chancen erkennen und moderne Farmer, die aus diesen Chancen echtes, wiederholbares Wachstum machen. Und beide Seiten müssen Hand in Hand arbeiten, durch gemeinsame Übergaben, einheitliche Datenbasis, geteilte Ziele.
Der eigentliche Wandel beginnt also im Kopf: Wenn du aufhörst, Vertrieb und Kundenpflege als getrennte Welten zu betrachten und stattdessen erkennst, dass nachhaltiger Umsatz entsteht, wenn beides zusammenspielt.
Über den Autor
Raphael ist ein erfahrener Profi im B2B-SaaS-Bereich, spezialisiert auf den Aufbau und die Skalierung von Customer-Success- und Account-Management-Teams.
Als strategischer Partner und Berater berät er u.a. im Bezug auf Kundenzufriedenheit, reduzierte Churn-Raten und skalierbare Annual Recurring Revenue (ARR).
Wenn Du mehr über Raphael erfahren möchtest, besuche gerne seine Website. Dort kannst Du auch direkten Kontakt aufnehmen.