Gastartikel

Was wir über Führung von Pferden lernen können: Sind Pferde die besseren Leader?

24. März 2024
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Nadia Lattmann

In einer Welt, in der technische Fähigkeiten und akademische Abschlüsse oft im Vordergrund stehen, ist es leicht, die Bedeutung von echter Führung aus den Augen zu verlieren. Die Frage lautet: Wo bleibt die Menschlichkeit in unserer modernen Welt? Manche mögen argumentieren, dass Effizienz und das Erreichen von Zielen an erster Stelle stehen sollten.

Aber gehört zu einer starken Führung nicht mehr als das?

Begleiten Sie mich auf einer Reise in die Welt der Pferde, um die Geheimnisse natürlicher Führung zu entdecken und herauszufinden, was wir von den Tieren lernen können.

Wieso Pferde?

Man könnte diese Lektionen auch von anderen Tieren lernen. Doch aus persönlichen Erfahrungen, die ich im Pferdesport gemacht habe, schöpfte ich die meisten meiner Lernmomente.

Pferde haben zwei Seiten – oder anders gesagt, wir können sie aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: gross, kraftvoll, dominant und manchmal auch scheu, schreckhaft und sensibel.

Aber wie kann ein so großes Lebewesen ängstlich sein? Die Antwort liegt darin, dass Pferde Fluchttiere sind. Das bedeutet, dass sie sich bei Gefahr zurückziehen. Daher sind sie immer auf der Hut, achtsam und reaktionsbereit. Das Pferd hat ein Wahrnehmungssystem, das auf feinste Ausstrahlung und Körpersprache reagiert.

Zudem sind sie Herdentiere, leben in sozialen Strukturen und haben feste Plätze darin. Ähnlich wie wir Menschen haben sie eine stabile soziale Gesellschaft, die ihnen Sicherheit bietet und ihre Überlebenschancen verbessert. Daher ist ein tiefes Verständnis für Gruppendynamik und eine besondere Sensibilität für die Auswahl von Führungspersönlichkeiten im Wesen der Pferde verankert.

Pferde als Coaches

Ähnlichkeiten zwischen Pferden und Menschen

In Pferdeherden gibt es ähnliche Strukturen wie bei Menschen. Die Anführer der Herde sind meistens Leitstuten. Darüber hinaus gibt es Gruppenkoordinatoren, deren Aufgabe es ist, darauf zu achten, dass niemand verloren geht. Die Rangordnung wird von den Pferden untereinander festgelegt, und ranghohe Tiere besitzen eine innere Autorität.

Die Pferde wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben und an welcher Stelle der andere in der Rangordnung steht. Daher stellen sie sich immer zwei Fragen:

Bist du Freund oder Feind?
Das ist die Frage nach Vertrauen oder Misstrauen – nach Bleiben oder Flüchten.

Führst du oder führe ich?
Wer gibt den Ton an und wer folgt – Führung ist nur möglich durch Gefolgschaft.

Deshalb tritt das Pferd automatisch in eine Kommunikation über Führung ein.
Aber es reagiert nicht auf das Gesagte, sondern auf das Gemeinte.
Authentizität ist der Schlüssel – vermitteln und tun wir das, was wir denken und fühlen?

Wie gewinnen wir Respekt und Vertrauen?

Für Pferde spielen Visitenkarten und Organigramme keine Rolle. Auch Äusserlichkeiten oder Geld beeindrucken sie nicht. Was zählt, ist, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten. Das heißt: Meinen wir wirklich, was wir sagen? Fühlen wir es auch? Und setzen wir es auch um? Eine einfache Faustregel für den Alltag lautet: Kopf, Herz, Hand.
Habe ich eine klare Vorstellung von meinen Zielen?
Bin ich überzeugt davon?
Und bin ich in der Lage, diese umzusetzen?

Wenn diese drei Aspekte kongruent zusammenspielen, handelt man meiner Meinung nach authentisch.

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Hand aufs Herz:

Haben Sie schon einmal einen Managemententscheid an Ihr Team weitergeben müssen, hinter dem Sie nicht voll und ganz standen?
Wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Glauben Sie, dass Sie diese Entscheidung überzeugend vertreten haben?

Ein Beispiel aus unseren Workshops

Ein Teilnehmer sollte mit dem Pferd von A nach B laufen.
Plötzlich bleibt das Pferd ohne ersichtlichen Grund stehen. Ich lasse das eine Minute lang zu und beobachte. Dem Teilnehmer kommt es wie eine Ewigkeit vor. Er fragt mich, warum das Pferd nicht mehr geht.
Ich frage zurück: „Wo willst du eigentlich hin?“
Er antwortet: „Ja, weiter zu diesem Pylonen, aber irgendwie will das Pferd nicht mehr. Was soll ich machen?“
Ich frage: „Wie fühlst du dich jetzt?“
Er antwortet unsicher: „Verunsichert. Ich will es nicht zwingen, vielleicht mache ich etwas falsch.“
Es ist offensichtlich, dass er Zweifel hat.
Also sage ich: „Komm doch mal zu mir.“ Und plötzlich setzen sie sich wieder in Bewegung.
Erstaunt fragt der Teilnehmer: „Warum geht es jetzt wieder?“
Ich frage zurück: „Was hat sich bei dir verändert?“
Er antwortet: „Ich hatte das klare Ziel vor Augen, zu dir zu kommen. Ich war überzeugt, dass wir es schaffen, und habe dir vertraut, dass es klappt.

Was wollen wir damit sagen? Pferde spüren die kleinsten Nuancen unserer inneren Einstellung. Sie entscheiden blitzschnell, ob sie uns vertrauen und weiter folgen können. Oder ob unser Gegenüber nicht ganz überzeugt ist.

Denken Sie darüber nach, wie Sie auf Ihre Mitarbeitenden wirken. Haben Sie immer einen klaren Plan, was Sie in einem Gespräch erreichen wollen? Sind Sie mit ganzem Herzen und voller Überzeugung bei der Sache? Und haben Sie auch das Wissen und die Übung? Oder könnte es vielleicht sogar jemand anderes besser?

Gefühl – Bauchentscheidung

Die Frage nach dem Gefühl ist entschei-
dend – und das aus gutem Grund. Wenn Pferde plötzlich stehen bleiben, erleben
die Menschen oft Momente der
Unsicherheit.
Das ist ein natürlicher menschlicher Reflex
in einer unerwarteten Situation. Indem ich frage, wie sich die Person fühlt, gebe ich
ihr die Möglichkeit, sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu werden und sie zu benennen.
Das ist der erste Schritt, um die Situation
zu verstehen und angemessen zu reagieren.

Die Frage nach den Gefühlen ermöglicht zudem eine bessere Verbindung zwischen
uns und unserem Gegenüber. Indem wir Interesse an den Emotionen des anderen zeigen, signalisieren wir Empathie und schaffen ein unterstützendes Umfeld, wo eine offene Kommunikation möglich ist. Dies ist besonders wichtig in Situationen, in denen Vertrauen und Zusammenarbeit erforderlich sind.

Es hilft uns, unsere eigene innere Haltung zu reflektieren und zu überprüfen. Wenn wir uns bewusst sind, wie wir uns fühlen und warum, können wir besser verstehen, wie wir auf andere wirken und wie wir unsere Interaktionen verbessern können. Dies ist entscheidend, um authentisch und effektiv zu führen, sei es im Umgang mit Pferden oder mit unseren Mitarbeitenden.

Non-verbale Kommunikation

Paul Watzlawick sagte einmal: „Man kann nicht nicht kommunizieren. Auch ohne Worte stehen wir jederzeit im Austausch mit unseren Mitmenschen – ob wir wollen oder nicht.“ Die Körpersprache macht dabei den größten Teil unserer Kommunikation aus.

In jedem Kommunikationstraining wird betont, dass die Wirkung einer Botschaft hauptsächlich von der Körpersprache (ca. 80%) und in einem geringeren Masse vom Inhalt des Gesagten (ca. 20%) abhängt.

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wenn die Körpersprache so viel über unsere innere Einstellung, unsere Werte und unsere Glaubenssätze verrät, warum investieren wir nicht mehr Mühe, diese bewusster wahrzunehmen?
Warum verbringen wir mehr Zeit damit, unsere fachlichen Fähigkeiten zu verbessern, anstatt unsere Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeiten zu schärfen?

In der Arbeit mit Pferden bieten Übungsplätze die Möglichkeit, Wirksamkeit zu erfahren und zu reflektieren. Sie bieten die Chance, unsere Wahrnehmung zu schärfen und „selbst-bewusster“ zu werden. Die dabei entstehenden Bilder und Erfahrungen prägen sich tiefer ein und sind leichter abrufbar.

Pferde

Achtsam im Hier und Jetzt

Führungskräfte treffen viele Entscheidungen, die von ihren Erfahrungen geprägt sind. Während Menschen oft in der Vergangenheit verweilen und sich mit den Erwartungen und möglichen Fehlern der Zukunft auseinandersetzen, leben Pferde immer im Hier und Jetzt. Sie sind nicht nachtragend und reagieren unmittelbar auf das, was gerade geschieht.

Zweifellos ist es für Manager wichtig, aus der Vergangenheit zu lernen und zukünftige Herausforderungen zu antizipieren. Aber wir könnten von Pferden lernen, mehr im Hier und Jetzt zu sein: im Denken, Fühlen und Handeln (Kopf, Herz, Hand). Wir könnten lernen, keine Angst vor der Zukunft zu haben, sondern uns auf das zu konzentrieren, was gerade vor uns liegt.

Wenn wir uns darauf einlassen, im Hier und Jetzt präsent zu sein, können wir effektiver kommunizieren, besser auf unsere Mitarbeitenden eingehen und fundiertere Entscheidungen treffen. Vielleicht ist die größte Führungskompetenz nicht nur die Fähigkeit, die Zukunft zu planen, sondern auch die Fähigkeit, den Augenblick zu leben und das Beste daraus zu machen. Konzentration auf das, was bereits gut ist, und auf die Frage, wie es noch besser werden kann. Dieser Ansatz kann z.B. den Beginn jeder Sitzung prägen. Sie ermöglicht Handlungsfähigkeit, aktives Gestalten und motivierte Teilnehmende.

Fazit: Führung von Pferden lernen

Wirksame Führung bedeutet für mich: Beziehungen gestalten. Und diese Beziehungsgestaltung beginnt immer bei uns selbst.

Die Arbeit mit Pferden spiegelt uns auf wunderbare Weise unsere blinden Flecken. Oft können wir das Feedback eines Tieres unbefangener annehmen. Nur wenn wir uns selbst reflektieren, und unser eigenes Handeln, Denken und Fühlen verstehen, können wir es auch verändern und uns weiterentwickeln.
Die Pferde sind dabei nicht nur Spiegel, sondern auch Lehrer.
Letztlich erinnern sie uns daran, dass wahre Führung nicht nur darin besteht, andere zu führen, sondern auch sich selbst – mit Klarheit, Authentizität und einem offenen Herzen.

In der Welt der Pferde können wir echte Lektionen in effektiver Führung finden. Vielleicht sind Pferde keine besseren Leader, aber sie können uns auf dem Weg zu besserer Führungskompetenz inspirieren und begleiten. Wir können lernen, jene Führungspersönlichkeiten zu werden, die nicht nur Ziele erreichen, sondern Herzen berühren. 
Denn wie oft stellen wir aufgrund von Fähigkeiten (Hand) ein und kündigen aufgrund von Einstellungen (Herz). Oder umgekehrt: Mitarbeiter verlassen häufig Vorgesetzte, nicht Unternehmen.

Über die Autorin

Nadia Lattmann unterstützt mit Mirrorstep als Business Coach Menschen in den Bereichen Persönlichkeits-, Führungs- und Teamentwicklung. Durch gezielte Gespräche und praxisorientierte Ansätze hilft Nadia Einzelpersonen und Teams, ihre Potenziale zu entfalten, effektiv zu führen und zusammenzuarbeiten, um berufliche und persönliche Ziele zu erreichen. Dazu nutzt sie unter anderem dieses wunderbare Konzept mit den Pferden, das Du Dir unbedingt genauer anschauen solltest….

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